Vier Tage hatte ich Zeit, um daheim Wildnis-Videos zu schneiden, Mails zu beantworten und Pakete entgegenzunehmen. Danach ging es sofort wieder in die Wildnis.

An Tag 1 haben wir den Geburtstag eines Newmanschen Familienmitglieds gefeiert. Das war sehr schön. Besonders der Kuchen war extrem lecker! Und danach …

Danach bin ich wieder alleine. Doch zum Glück ist das Eichhörnchen dieses Jahr wieder am Start. Manchmal sogar ziemlich laut. Ich finde es schön, wenn man bereits beim ersten Kaffee des Tages große und kleine Mitbewohner zu Gesicht bekommt. So zum Beispiel den Specht, der ziemlich lustige Geräusche macht, oder die beiden jungen Katzen, die oft an unserem Grundstück vorbeispazieren. Verzichten könnte ich allerdings auf die ekelige Schlange, denn auch diese hat sicher wieder blicken lassen. Und auch die Flut an Nacktschnecken ist nicht unbedingt das, was ich als niedlich bezeichnen würde. Dafür versammeln sich jeden Nachmittag unzählige Schmetterlinge beim Fliederbusch und auch das Rotkehlchen ist präsent.

 

Während dieses zweiten Wildnis-Intervalls schwächele ich ein wenig an der Schreib-Front. Am ersten Tag wird überhaupt nichts geschrieben und auch zum Ende hin, sieht es schlecht aus. Dennoch erreiche bis zur Abreise die magische 30.000-Wörter-Marke. Das ist okay, wenn man bedenkt, dass ich hier noch ganz andere Projekte laufen habe.

 

Ganz oben auf der Liste steht natürlich die Veranda. Schon beim letzten Trip habe ich zwei Wände geschafft. Diese Woche soll der Rest gestrichen werden. Und ich lege richtig los! An einem Tag verausgabe ich mich so sehr, dass ich tatsächlich kaum noch einen Arm bewegen kann. Es ist ansgtrengend und zuweilen frustrierend aber am Ende bin ich sehr stolz auf mich. Die, seit vierzig Jahren durch die Sonne nachgedunkelten, Holzwände erstrahlen jetzt in einem matten Weiß. Fensterbänke und Rahmen pinsele ich Mattgrau an. Hinzu kommen unzählige neue Bilderrahmen und kleine Accessoires, die dem alten Raum neues Leben einhauchen, ohne dabei der Geschichte einen Riegel vorzuschieben. Kleine Andenken müssen nämlich bleiben. So wie der winzige Zweig, den mein Großvater vor 25 Jahren neben der Tür aufgehängt hat. Laut Legende habe ich mir an diesem kleinen Ast ziemlich wehgetan. Nun hängt er neben dem Glockenspiel meiner Tante. Auch ein Andenken. Und ganz wichtig: das Bild von Großvater Newman. Es wurde in der gemütlichen Ecke der Veranda aufgenommen. Dort, wo ich heute meine Bücher schreibe. Es bekommt einen neuen Rahmen und kommt als Allererstes zurück an seinen Platz, nachdem ich mit den Streichen fertig bin.

 

Überhaupt plane ich ganz viele Bilder aufzuhängen. Diese Wildnis hat im Laufe der Zeit so viele Menschen leben und sterben sehen. Nur wenige von uns sind noch hier, um Traditionen fortzusetzen und alles am Laufen zu halten. Ich möchte das Bild von unserer Familie aufhängen, auf dem wir völlig fertig auf einem Haufen blauer Säcke liegen, weil wir einen Hektar Land vom Herbstlaub berfreit haben. Und auch Fotos von den Anfängen der Wildnis sollen einen Platz erhalten. Aufnahmen aus einer Zeit, in der hier kaum ein Baum stand und das kleine Haus, in welchem ich nun jeden Sommer verbringe, noch nicht einmal, angedacht war. Das alles stelle ich mir vor. Und wenn dieser Sommer vorbei ist, wird es genau so aussehen, wie ich es haben will. Auch wenn durch diese Mühen mal ein Kapitel weniger zu Papier gebracht wird. Prioritäten, ihr versteht?

Auch das Wetter hat sich endlich erbarmt. Die ganze Woche über gibt es Sonne und man kann immer barfuß herumschleichen. Ich liebe das! Selbst der Bienenstich vom letzten Jahr kann mich nicht davon abhalten meine Zehen mit dem ersten Hahnenschrei ins taufeuchte Gras zu stecken. So muss es sein! Mich mal ein paar Minuten zu sonnen, dazu kommt es leider nicht. Immer ist irgendwas zu tun, aber das ist in Ordnung. Ich kann schon seit drei Jahren nicht mehr einfach gar nichts tun. Das habe ich mit der Selbstständigkeit verlernt. Ich liebe es, Dinge mit meinen eigenen Händen zu erschaffen. Spuren in der Geschichte zu hinterlassen. Wenn ich dann beim Streichen mal einen vierzig Jahre alten Bleistiftstrich von Großvater Newman auf der Holzlatte entdecke, werde ich ganz nostalgisch. Ich stelle mir vor, dass meine Enkel irgendwann dieses Holz mit den Fingern berühren, wohlwisend, dass ich die Farbe aufgetragen habe. Es mag kitschig klingen, aber wenn wir ehrlich sind, verschwinden wir doch alle einfach nach unserem Tod. Etwas zu hinterlassen, und sei es auch noch so banal und unscheinbar, verschafft mir ein gutes Gefühl. Vielleicht sehen sich meine Enkel uralte YouTube-Videos ihrer Großmutter an, lesen eines meiner Bücher und hängen neue Bilder neben den alten auf der Veranda auf. Ich mag die Vorstellung.

Gut gegessen wird natürlich auch wieder in diesem Inervall. Neben Großmutter Newmans Kochkünsten tischen wir auch frischen Räucherfisch auf. Außerdem zaubere ich mir den ein oder anderen Salat am Abend. Selbst mangels eines Kühlschranks, wird immer für das leibliche Wohl gesorgt und auch wenn die Zubereitung des Kaffees hier deutlich länger dauert, als sie es in der Zivilisation tut, ist jeder Tropfen ein Fest. Es schmeckt gleich noch besser, wenn man „hart“ dafür arbeiten muss.

 

Heute, an meinem letzten Wildnis-Tag für diese Etappe, habe ich noch Einiges auf dem Zettel. Ob ich alles schaffe ist ungewiss. Ich möchte ein Video außer der Reihe drehen, noch einen Balken streichen und Großmutter Newman hat sich ebenfalls angekündigt. Mal sehen, ob ich erfolgreich heimfahre.